Welche Versicherungen braucht man wirklich? [Interview mit Axel Kleinlein]
Gar nicht so einfach, im Überangebot der Versicherungsindustrie den Durchblick zu behalten.
Welche Versicherungen braucht man wirklich …
und worauf kann man gut und gerne verzichten?
Hinzu kommt, dass bei vielen Versicherungsprodukten die unnötige Verquickung von Risikoabsicherung und Vermögensaufbau für zusätzliche Verwirrung sorgt.
Um ein wenige Licht ins Dunkel zu bringen, habe ich einen ausgewiesenen Experten in Sachen Versicherungen, Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten, um ein Interview gebeten.
Du erfährst unter anderem:
welche Versicherungen du unbedingt haben solltest,
warum der Abschluss einer Kapitallebensversicherung niemandem zu empfehlen ist, und
was Riester- und Rürup-Verträge für die Vermögensbildung untauglich macht.
Du kannst dir das Intverview entweder als Podcast im Originalton anhören oder die unten stehende Transkription des Gesprächs lesen. Weitere Informationen über Axel Kleinlein findest du am Endes des Artikels.
Welche Versicherungen braucht man wirklich?
zendepot: Hallo Herr Kleinlein, schön, dass Sie Zeit für das Interview gefunden haben.
Axel Kleinlein: Ja, guten Tag.
Der Bund der Versicherten
zendepot: Herr Kleinlein, Sie sind Vorstandsvorsitzender des Bundes der Versicherten. Was leistet Ihre Organisation, und für wen ist sie da?
Axel Kleinlein: Wir sind eine so genannte Nichtregierungsorganisation, eine NGO, die sich ausschließlich mit den Belangen der Versicherten auseinandersetzt. Also alle Personen, die private Kunden bei Versicherungsunternehmen sind, die möchten wir vertreten, denen möchten wir eine Stimme geben.
Das heißt, wir machen eine verbraucherpolitische Vertretung, aber zusätzlich bekommen unsere Mitglieder auch eine Beratung. Unsere Fachberater stehen für Detailfragen zu den eigenen Verträgen zur Verfügung.
Und zusätzlich gibt es auch noch die Möglichkeit, über unsere Tochtergesellschaft günstige Rahmenverträge von solchen Versicherungsprodukten zu bekommen, von denen wir sagen, die machen Sinn, die braucht man auch tatsächlich und wirklich.
zendepot: Und für diese Rahmenverträge und für die Beratung muss man wahrscheinlich Vereinsmitglied werden, um das in Anspruch nehmen zu können?
Axel Kleinlein: Ganz genau. Das sind Verträge, die eben speziell auf die BDV-Versicherten zugeschnitten sind, mit ganz besonderen Vereinbarungen.
Wir sind stetig immer wieder dabei, die Versicherungsbedingungen soweit zu verbessern, dass sie wirklich immer an der Spitze stehen.
Und alle Änderungen in den Bedingungen wirken sich auch immer auf den vollen Bestand [Anm.: aller Kunden] aus. Das ist uns auch insoweit sehr wichtig, dass man nicht permanent umdenken muss, um immer up-to-date zu bleiben, sondern das ist automatisch der Fall.
Welche Versicherungen sollte man haben?
zendepot: Und wenn Sie über Versicherungen sprechen, da kommt meistens die Frage auf, welche Versicherungen brauche ich überhaupt? Was ist verzichtbar, und was ist absolut unverzichtbar aus Ihrer Sicht?
Axel Kleinlein: Es geht immer darum, zunächst einmal die echten Lebensrisiken abzusichern. Die großen Lebensrisiken wie Krankheit, da ist man ja gesetzlich zur Absicherung verpflichtet – entweder mit einer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung.
Dann gibt es natürlich noch die Haftpflichtversicherung, die ist aus unserer Sicht unerlässlich, die braucht eigentlich jeder. Denn die Gefahren sind viel zu groß, dass man sich durch ein Missgeschick in Schwierigkeiten bringt und finanziell ruiniert ist.
Wer zum Beispiel Alleinverdiener in einer Familie ist, sollte sein Leben versichern (Anm.: Risikolebensversicherung), denn die Familie ist auf das Gehalt angewiesen.
Genauso wie auch die Partner durchaus abzusichern sind, wenn der Partner nicht mehr zur Seite steht, um sich zum Beispiel um die Kinder zu kümmern. Dann kostet das auch viel Geld oder die Lebensplanung muss über den Haufen geworfen werden.
Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist an sich auch unverzichtbar beim Arbeitnehmer, denn letztlich ist das Arbeitseinkommen der Motor für die eigene Ökonomie, für das eigene Geld, das man ausgeben kann.
Das sind die Risiken, die man auf jeden Fall absichern sollte.
Berufsunfähigkeitsversicherung
zendepot: Eine Versicherung gegen Berufsunfähigkeit wird ja immer empfohlen. Die Prämien sind jedoch relativ hoch, so dass sich viele sehr schwer mit dem Abschluss einer BU-Versicherung tun.
Besonders Berufsanfänger, die noch nicht viel verdienen, wenn die sich anschauen, was sie monatlich bezahlen sollen, das ist ja schon ein ordentlicher Batzen Geld.
Und jetzt hört man auch immer wieder, dass einige Versicherer im Schadensfall dann das Geld gar nicht so schnell ausschütten, wie man sich das vielleicht vorstellt, beziehungsweise die Berufsunfähigkeitsrente nicht sofort zahlen, sondern auf Zeit spielen, in Gerichtsverfahren gehen, wo das Ganze sehr mühselig ist.
Teilen Sie diese Art von Bedenken oder können Sie da Entwarnung geben?
Axel Kleinlein: Da gebe ich eine juristische Antwort: teils – teils! Sie haben jetzt mehrere Fragen gestellt.
zendepot: Ja, das stimmt!
Axel Kleinlein: Zum einen ist es so, dass die vergleichsweise hohen Prämien zum Teil tatsächlich so nicht nachvollziehbar sind und auch das eigentliche Ziel einer flächendeckenden Berufsunfähigkeitsabsicherung überhaupt unmöglich machen.
Wir haben seit knapp 15 Jahren die Situation, dass über die gesetzliche Absicherung Berufsunfähigkeit kaum noch abgedeckt ist. Das heißt, an sich sollte jeder und jede auch privat vorsorgen.
Nur nicht jeder kann das, denn die Prämien sind zum Teil abhängig vom Beruf eben außerordentlich hoch. Und da können Kleinigkeiten im Berufsbild schon große Unterschiede machen.
Wer in einem Kiosk arbeitet, in dem keine Alkoholika verkauft werden, der muss erheblich weniger zahlen als wenn auch die Bierbüchsen mit im Repertoire sortiert stehen. Das ist oft überhaupt nicht mehr nachvollziehbar.
Hier gilt es ganz, ganz dringend, eine klarere und transparentere Produktgestaltung zu machen. An der Stelle haben wir außerordentliche Bedenken. Und hier müsste die Versicherungswirtschaft endlich etwas tun, um tatsächlichen, echten Ersatz für die frühere gesetzliche Absicherung zu geben.
Wir schauen uns natürlich auch immer wieder aufs Neue an, wie denn die Leistungswilligkeit der Versicherungsunternehmen ausschaut.
Das, was Sie auch angesprochen haben, ob die Versicherungen denn auch tatsächlich zahlen, wenn der Leistungsfall eingetreten ist, das ist durchaus durchwachsen. Wir sehen tatsächlich immer wieder Einzelfälle, in denen sich die Versicherungsunternehmen davor drücken, offensichtlich berechtigte Ansprüche zu zahlen.
Aber leider ist es auch oft so, dass Ansprüche nicht geltend gemacht werden können, weil die Kunden bei Vertragsabschluss keine hinreichenden Angaben zu ihrer gesundheitlichen Situation gemacht haben.
Da mag dann auch mal der eine oder andere Vermittler Pate gestanden haben, der gesagt hat, „ach, das Rückenleiden, das tragen wir mal nicht mit ein, das ist nicht so wichtig“.
Tatsächlich ist es aber außerordentlich wichtig, gerade bei BU-Versicherungen wirklich alles ganz penibel genau auszufüllen und hier nichts zu vernachlässigen. Denn ansonsten kann eben der Leistungsanspruch flöten gehen.
zendepot: Was aber auch bedeuten kann, dass man vielleicht dann gar keine BU-Versicherung mehr bekommt. Denn sollte jemand tatsächlich schon in jungen Jahren Rückenleiden haben und dies ehrlich angeben, dann macht das eventuell den Abschluss einer solchen Versicherung unmöglich, oder?
Axel Kleinlein: Und damit kommen wir genau auf den ersten Aspekt Ihrer Frage. Denn diejenigen Personen, die aufgrund von Vorerkrankungen keine Chancen haben, eine BU zu bekommen, die stehen eben ziemlich schlecht da.
Sie können eventuell noch über andere, schlechtere Absicherungsformen zumindest Teile des Invaliditätsrisikos abdecken, aber eben diese große, flächendeckende Absicherung der BU-Risiken, die ist dann leider nicht mehr möglich.
zendepot: Mit „Alternative“ ist eine Dread-Disease-Versicherung gemeint?
Axel Kleinlein: Zum Beispiel Dread-Disease oder aber eine kleine Erwerbsunfähigkeit. Das sind Sachen, mit denen man hier womöglich dann das eine oder andere Risiko mit abdecken kann. Aber eben das große Risiko, berufsunfähig zu werden, das ist dann eben nicht mehr absicherbar. Und diese Personen, die stehen dann im Regen.
zendepot: Und wenn ich nicht gesund bin und mir einen Versicherer aussuchen möchte, worauf soll ich dann achten? Wie kann ich gute Anbieter erkennen?
Axel Kleinlein: Das kann man auf den ersten Blick überhaupt nicht richtig erkennen. Wichtig ist es, erst einmal eine Anfrage zu machen – am Besten eine anonymisierte Anfrage über einen Versicherungsberater, ob einen das Versicherungsunternehmen nehmen würde, und ob womöglich Risikozuschläge erhoben würden oder nicht.
Das ist ganz entscheidend, denn an erster Stelle steht natürlich die Frage, bekomme ich einen Vertrag, ja oder nein? Und an zweiter: zu welchen Konditionen?
Hat man dann mögliche Varianten gefunden, mit denen man BU-Risiken absichern kann, dann gilt es, auch ins Kleingedruckte zu schauen.
Da sind Fragen der abstrakten Verweisung und auch andere Detailfragen wichtig, wenn es darum geht, einen geeigneten BU-Schutz zu finden. Das ist ein etwas mühseliges Geschäft.
Entweder man macht sich selber schlau anhand von Veröffentlichungen der Verbraucherpresse oder ist Mitglied des Bundes der Versicherten. Dann bekommt man von uns auch entsprechende Merkblätter und Anleitungen, wie man hier den richtigen Vertrag finden kann.
Oder aber man holt sich Hilfe und lässt sich an die Hand nehmen bei der Suche nach einem Vertrag. Da sind die unabhängigen Versicherungsberater zum Beispiel genau die richtigen Partner.
zendepot: Das hört sich so an, als ob gerade diese Form der Versicherung eine gewisse Beratungsintensität benötigt, weil sie sehr komplex ist.
Axel Kleinlein: Die BU-Versicherung gehört zu den komplexesten Absicherungen überhaupt. Die sollte man auch nicht schnell am Wohnzimmertisch abschließen, wenn der Vermittler zu Besuch ist.
Hier sollte man sich unbedingt unabhängige Beratung einholen, denn die Gefahr ist groß, dass man entweder einen falschen Vertrag abschließt oder gar falsche Angaben macht.
Und wenn man es versäumt, die wirklichen und richtigen Angaben zu machen, dann gefährdet man den gesamten BU-Schutz.
Kapitallebensversicherung
zendepot: Gehen wir vielleicht etwas weg von der Risikoabsicherung hin zur Altersvorsorge oder Vermögensbildung.
Da ist ja eines der beliebtesten Anlageprodukte der Deutschen nach wie vor die Kapitallebensversicherung. Die steht bereits seit langem in der Kritik beziehungsweise schafft es kaum noch aus der Kritik heraus, könnte man fast schon sagen.
Und dabei fallen immer wieder Schlagwörter wie „Garantiezins“, „Sparanteil“, „Überschussbeteiligung“, „Bewertungsreserven“ et cetera.
Was schätzen Sie, wie hoch der Anteil der Kapitallebensversicherungskunden ist, die überhaupt mit diesen Begriffen etwas anzufangen wissen? Die überhaupt wissen, worüber da gesprochen wird?
Axel Kleinlein: Ich kenne jetzt nicht den Promille-Anteil von Versicherungsmathematikern an den Versicherungskunden insgesamt, aber ungefähr in der Größenordnung dürfte sich dieser Anteil der Kunden bewegen, die tatsächlich diese ganzen Begrifflichkeiten beherrschen.
Dieses Produkt, die Kapitallebensversicherung, ist so undurchschaubar und derart intransparent, dass es glücklicherweise mittlerweile so ist, dass sie im Neugeschäft fast keine Rolle mehr spielt.
Hauptsächlich sind es mittlerweile mehr Rentenprodukte der verschiedensten Ausprägung, egal ob Riester-Rente, Rürup-Rente, betriebliche Altersvorsorge oder auch Privatrente. Das sind die Produkte, die heutzutage eher das Geschäftsfeld dominieren.
Aber auch dort sind natürlich diese Begrifflichkeiten wie Schlussüberschussanteil, Fondsbewertungskriterien, Zinszusatzreserve, Langlebigkeitsrisiko et cetera, das sind alles die Sachen, mit denen sich ein Versicherungsmathematiker gut auskennt.
Aber der Kunde hat wenig Chancen, wirklich zu durchschauen, worum es geht. Und hier wird am Schluss dann immer wieder mit Begrifflichkeiten wie den hohen Garantien geworben.
Tatsächlich kann aber kaum ein Kunde überhaupt verstehen, welche Art von Garantien sich hinter diesen Produkten verbergen.
zendepot: Die Kapitallebensversicherung oder auch private Rentenversicherung oder Riesterprodukte, die Sie angesprochen haben, die werden ja von den Versicherern oder von der Versicherungslobby traditionell als sichere oder sicherste Anlageprodukte beworben.
Auf wie sicheren Füßen stehen eigentlich die Anbieter dieser einzelnen Produkte?
Ist es zum Beispiel denkbar, dass ein Einzelunternehmen pleite geht, an das ich mich 30, 40, 50 oder mehr Jahre per Vertrag gebunden habe?
Und was würde in einem derartigen Fall dann mit den eingezahlten Kundengeldern passieren? Haftet dann der Staat oder wie ist das zu sehen?
Axel Kleinlein: Das geht in mehreren Schritten, und wir bewegen uns hier jetzt sehr, sehr tief in der Theorie. Es ist zwar so, dass die Versicherungsunternehmen im Moment ganz arg jammern wegen der Niedrigzinsphase und wie schwer es doch im Moment ist, an den Kapitalmärkten zu agieren.
Tatsächlich ist das aber ein Jammern auf außerordentlich hohem Niveau. Denn die Unternehmen können ja alle Negativeffekte der aktuellen Niedrigzinsphase immer auf die Kunden abwälzen.
Am Schluss ist es der Kunde, der durch niedrige Überschussbeteiligung das ausbaden muss, was im Moment an den Kapitalmärkten passiert.
Den Versicherungsunternehmen geht es gut, die gehen im Moment außerordentlich stark durch diese Krise. Und um die Unternehmen muss man sich dementsprechend eigentlich keine Sorgen machen.
Diejenigen, die im Moment leiden, sind die Versicherungsnehmer. Das sind die Kunden, das sind diejenigen, die eigentlich mit den Produkten sparen wollen.
Diejenigen, die nicht leiden, das sind die Versicherungsunternehmen oder die Aktionäre, die in diese Versicherungsunternehmen investieren.
Aber selbst wenn es so sein sollte, dass ein Anbieter mal in eine Schieflage gerät, dann werden diese Verträge, lange bevor die echte Pleite besteht, auf ein gesondertes Versicherungsunternehmen, den so genannten Protektor, übertragen.
Das ist die Auffanggesellschaft, in der jeder Vertrag landet von einem Unternehmen, das eben in eine solche Schieflage gerät. Diese Auffanggesellschaft wird finanziert durch alle Versicherungsunternehmen, die hier in Deutschland auch aktiv sind und am Markt sind. Und hier ist eine echte Sicherheit geboten.
Diese Auffanggesellschaft sorgt auf jeden Fall dafür, dass die garantierten Leistungen zur Auszahlung kommen. Ein bisschen Überschussbeteiligung gibt es auch noch obendrauf.
Man steht also nicht unbedingt schlechter da, als wenn man bei einem schlechten Unternehmen verbleiben würde.
Wenn jetzt ganz besonders viele Unternehmen pleite gehen oder aber ganz besonders große Unternehmen pleite gehen würden, dann gäbe es in der Tat auch in dieser Auffanggesellschaft ein Problem.
Das ist jetzt außerordentlich theoretisch, vorstellen kann sich das aktuell niemand. Und die Bilanzzahlen zeigen in eine ganz andere Richtung.
Und in einem solchen Fall aber, wenn jetzt hier wirklich großflächig viele, viele, viele Altersvorsorgeverträge betroffen sein würden und womöglich gekürzt werden müssten, dann würde es in der Tat ein politisches Problem werden.
Und wir haben ja schon vor ein paar Jahren gesehen, wie die Politik reagiert, wenn zum Beispiel Banken in eine große Schieflage geraten.
Ich würde davon ausgehen, dass wenn eine solche Situation irgendwann mal stattfinden sollte, dass dann hier auch die Politik eingreifen würde. Ich kann mir aber im Moment bei Weitem nicht vorstellen, was passieren muss, damit wir überhaupt so weit kommen.
zendepot: Dass es diesen Protektor gibt, könnte man vergleichen mit der Einlagensicherung bei Tagesgeldkonten zum Beispiel oder Sparkonten?
Axel Kleinlein: Im Grunde genommen, ja, also ganz vereinfacht gesehen. Jeder Versicherungskunde in Deutschland, der ein Produkt mit einer klassischen Garantie hat, kann sich sicher sein, dass er über den Protektor seine Garantie auch ausgezahlt bekommt.
zendepot: Okay, das ist ja schon mal gut zu wissen. Wie sollen denn die Leute vorgehen, die noch vor ein paar Jahren eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen haben und jetzt sehr unzufrieden mit der Entwicklung sind?
Sollen die die Augen zukneifen und durchhalten oder sollen die lieber kündigen? Gibt es da eine Faustregel?
Axel Kleinlein: Da gibt es keine Faustregel. Und jede Faustregel, die man hier geben würde, ist auf jeden Fall in einem Großteil der Fälle falsch.
Denn diese Frage, ob man kündigen, beitragsfrei stellen oder weiter laufen lassen soll, die ist sehr, sehr stark von der individuellen Situation abhängig.
Denn wenn Sie kündigen und den Rückkaufswert in der Hand halten und die zukünftigen Prämien einsparen, dann brauchen Sie eigentlich eine etwas günstigere Alternativanlage als eben diesen Versicherungsvertrag.
Diese Alternativanlage haben Sie zum Beispiel, wenn Sie Schulden haben aufgrund eines Immobiliendarlehens oder ähnlichem. Dann können Sie nämlich dieses eingesparte Geld genau dort hinein investieren und haben unterm Strich sozusagen eine Rendite auf diese Gelder in Höhe des Darlehenszinses.
Das kann sich in vielen Fällen als etwas besser darstellen, als eben die Lebensversicherung durchlaufen zu lassen. Haben Sie aber wenig andere Möglichkeiten, dieses Geld zu investieren und können womöglich auch noch über den Lebensversicherungsvertrag Steuervorteile generieren – das ist ja bei einem Abschluss vor 2005 durchaus der Fall – dann kann sich sogar ein Durchhalten des Vertrages noch rentieren.
Es gibt keine Faustregel, man muss genau nachrechnen. Man muss auch die steuerliche Situation immer mit im Blick behalten. Und erst dann kann man eine Aussage darüber treffen. Ein pauschales Kündigen oder ein pauschales Durchhalten ist auf jeden Fall individuell zu prüfen. Das ist angezeigt.
zendepot: Auch hier entsteht vielleicht wieder Beratungsbedarf, wenn man Verträge „abwickeln“ möchte, sich da vielleicht noch eine Zweitmeinung einzuholen.
Axel Kleinlein: Unbedingt. Wie bei jedem Lebensversicherungsprodukt geht es nicht, ohne sich externe, unabhängige Beratung einzuholen. Die Produkte sind einfach viel zu kompliziert und zu komplex, als dass man sie einfach mal auf die Schnelle verstehen könnte.
Sparverträge mit Steuervorteilen
zendepot: Jetzt haben Sie schon die steuerliche Förderung von bestimmten Verträgen angesprochen. In Deutschland ist ja der Steuerspar-Trieb sehr ausgeprägt.
Ich werde auch immer sehr häufig gefragt, wie denn die ganzen Anlageprodukte unter Steuergesichtspunkten zu sehen sind. Hier sind ja an Versicherungsverträgen die Riester-Rente und die Rürup-Rente für die Selbständigen zu nennen.
Ist das nicht ein bisschen Augenwischerei, wenn man sagt, dass man den Steuervorteil auf der einen Seite hat, aber auf der anderen Seite durch die angesprochenen intransparenten Gebühren seitens der Versicherer wieder eine Gegenseite, so dass der Steuervorteil vielleicht sogar neutralisiert wird oder de facto am Ende gar nicht vorhanden ist?
Axel Kleinlein: Zunächst mal vorweg: Bei der Rürup-Rente hat man ja keinen echten Steuervorteil, sondern nur eine Steuerverschiebung. Das, was Sie heute an Steuern einsparen, müssen Sie später dann im Rentenbezug an Steuern wieder zahlen.
Und das Ganze ist nur dann positiv für Sie, wenn der Finanzminister in 30, 40 Jahren nett und ist und Ihnen die Steuern in der Verrentung nicht mehr heraufsetzt.
Das ist insoweit eine Wette auf den Finanzminister in den 30er, 40er Jahren dieses Jahrhunderts. Diese Wette würde ich ungern eingehen.
Unterm Strich kann man davon ausgehen, Rürup-Renten sind kein Steuersparmodell, sondern nur ein Steuerverschiebungsmodell.
Bei der Riester-Rente kann es durchaus sein, dass die Zulagen dazu führen, dass man aus der individuellen Betrachtung heraus wirklich einen ganz guten Vertrag hat. Das liegt dann eben daran, dass die Steuervorteile, die man durch die Zulagen hat, derart groß und dann eben auch über Steuervorteile derart hoch sind, dass sich der Vertrag besonders rentabel anfühlt.
Wenn man sich aber auf die ökonomische Seite begibt, das Ganze volkswirtschaftlich betrachtet, dann muss man natürlich auch hinterfragen, werden denn diese Zulagen oder diese Steuergelder sauber und vernünftig angelegt?
Und dann muss man leider zu dem Punkt kommen, dass das Geld von den Versicherungsunternehmen nicht gut verwaltet wird. Das wird nicht gut genutzt. Und unterm Strich könnte man erheblich effizienter vorgehen als eben über diese Produkte anzusparen.
Zur Ehrenrettung der Versicherungsunternehmen muss man natürlich auch noch mal sagen, dass dieses ganze System der Förderung bei der Riester-Rente außerordentlich bürokratisch und außerordentlich knifflig ist.
Das kostet Verwaltungsgebühren, das kostet auch wirklich Geld für die Versicherungsunternehmen. Wenn die kleine Bestände haben von nur wenigen tausend Verträgen, dann wachsen denen durchaus die Verwaltungskosten über den Kopf, so dass es sich gar nicht mehr rentiert, diese Verträge tatsächlich zu führen.
Das haben wir jetzt auch gesehen bei der Ergo Direkt, die ihr Riester-Geschäft eingestellt und ihren Bestand an Riester-Verträgen verkauft hat.
Wir haben es hier auch mit einer ganzen Reihe von echten Fehlkonstruktionen in der Riester-Rente selbst zu tun, die dieses Produkt überhaupt sehr, sehr unattraktiv machen.
Und es gibt erste Unternehmen, die wirklich offen gegen die Riester-Rente plädieren und dieses Produkt überhaupt nicht mehr anbieten wollen.
Risikoabsicherung und Vermögensbildung
zendepot: Macht Vermögensbildungsbildung mit Versicherungsprodukten aus Ihrer Sicht dann überhaupt Sinn? Zu welchem Vorgehen würden Sie Privatanlegern raten, um einfach Geld anzusparen oder Vermögen für das Alter aufzubauen?
Axel Kleinlein: Ein Versicherungsvertrag ist ja per se nicht zur Vermögensbildung gedacht. Sondern, wie es der Name schon sagt, geht es darum, Risiken zu versichern.
Auch eine Kapitallebensversicherung hat eigentlich den Zweck, einen Todesfallschutz zu bieten. Das weiß kaum noch jemand, und die Produkte sind nie so verkauft worden.
Aber tatsächlich ist das eigentlich die ursprüngliche Funktion der Kapitallebensversicherung gewesen. So dass diese Frage, ob sich Versicherungen für Vermögensbildung eignen, eigentlich per se schon mal gar nicht sinnvoll ist.
Versicherungen haben erst einmal nichts mit Vermögensbildung zu tun, sondern mit Versicherung, es geht um Risiken.
Und wenn man diese beiden Aspekte – Geld ansparen und versichern – miteinander vermischt, dann kann es eigentlich nicht richtig laufen, dann kann es nur schief gehen. Und genau das erleben wir ja im Moment.
Es gibt haufenweise Kunden, die Versicherungen gekauft haben, eigentlich dachten, sie hätten ein Sparprodukt erworben, und jetzt mit Schmerzen feststellen, dass der Spar-Aspekt des Vertrages gar nicht so wichtig war.
Sondern sie merken, dass mehr und mehr eigentlich nur die Garantiekomponenten und die Risikokomponenten zum Tragen kommen.
Das ist übel, wenn die Kunden auf diese Art und Weise auf den Holzweg geschickt wurden und feststellen müssen, dass diese Versicherungsprodukte gar nicht zur Altersvorsorge taugen.
Und das ist eigentlich genau der Punkt, weswegen wir sagen, wir müssen hier ein bisschen umdenken und uns überlegen, wie wir eine vernünftige Altersvorsorge machen können, auch jenseits dieser Art von kapitalgedeckter Altersvorsorge aller Versicherungen.
Sondern wir müssen erst einmal schauen, wo können die Versicherungen wirklich das, was sie gut können, mit einbringen – nämlich Risiken absichern.
Und wo können womöglich andere Akteure, die Geldanlagen und Geld sparen gut beherrschen, wie kann man die mit einbringen, um dann womöglich in Form eines Altersvorsorgekontos oder ähnlichem hier eine wirklich gute Lösung zu bieten.
zendepot: Die Frage war auch ein bisschen rhetorisch gemeint. Ich sehe das ganz genauso, dass diese Verquickung aus Risikoabsicherung auf der einen Seite und Vermögensbildung auf der anderen Seite, die ja durch die Versicherungsunternehmen in der Vergangenheit erfolgt ist, dass die eher unsinnig ist und viele Verbraucher auch verwirrt.
Viele wissen gar nicht mehr – oder können gar nicht wissen – bei einem Euro, den ich in den Vertrag einzahle, wie viel geht davon jetzt wirklich in die Risikoabsicherung, und was ist hier Vermögensbildung?
Das ist ja a) nicht transparent und b) auch nicht zu verstehen, warum diese beiden Aspekte so verquickt werden.
Axel Kleinlein: Das ist absolut richtig. Und das ist genau der Aspekt, der nochmal erneut aufzeigt, wie stark dieses Produkt intransparent ist, wie schwer es zu verstehen ist.
Und dass es eben kein Sparprodukt ist, bei dem man sagt, „so und so viel läuft auf mein Konto, und so und so wird es verzinst“, sondern im Gegenteil, das ist alles andere als nachvollziehbar.
zendepot: Aber an dem Punkt ist natürlich die Frage, was mache ich mit dem Geld, um Vermögen zu bilden?
Verbraucherschützer wie zum Beispiel Herr Nauhauser empfehlen einen Staatsfonds nach dem norwegischen Modell. Wäre das auch nach Ihrem Geschmack, oder würden Sie sagen, es wäre besser, wenn die Leute ihr Geld selbst anlegen?
Zum Beispiel, wie ich es empfehle, im Rahmen von einer passiven Anlagestrategie mit Index-Fonds oder ETFs? Was wäre da Ihre Präferenz?
Axel Kleinlein: Auch auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Das ist eben sehr, sehr stark davon abhängig, in welcher Lebenssituation man sich befindet.
Wer am Anfang seines Berufslebens steht, noch nicht richtig weiß, ob er womöglich einmal selbständig sein wird, ob er eine Familie gründen will und wo die Reise hingeht, der sollte natürlich schauen, dass er sich nicht so stark bindet. Der sollte eher eine flexible Anlageform wählen.
Wer gerade frisch eine Immobilie erworben hat oder dabei ist, zu bauen, der sollte sein Geld natürlich genau in dieses Projekt hineinstecken und nicht in andere Sparformen gehen.
Denn üblicherweise sind ja die Zinsen für ein solches Darlehen erheblich höher als das, was man am Kapitalmarkt erzielen kann.
Und so weiter und so fort, da gibt es ganz verschiedene Lebenssituationen, die verschiedene Anlagestrategien ermöglichen oder verhindern.
Und da kommt man nicht darum herum, sich bei einem unabhängigen Vermögensberater die entsprechenden Tipps zu holen, verschiedene Ideen zu holen, um dann am Schluss auch eine saubere und gute Entscheidung zu fällen.
Den Königsweg gibt es nicht, und es gibt auch keinen risikolosen Weg.
Man muss sich überlegen, „wie viel Risiko bin ich bereit, einzugehen, und wie viel Sicherheit ist mir wichtig?“
Und je nachdem muss man aus dem gesamten Anlageuniversum dann das für sich passende Produkt heraussuchen. Und das kann eben vom etwas riskanteren Fondssparplan bis hin zum Bundesschatzbrief gehen. Da gibt es ganz verschiedene Varianten.
zendepot: Okay, also es ist und bleibt kompliziert, das können wir festhalten.
Axel Kleinlein: Geld ist eine der kompliziertesten Angelegenheiten, die es gibt. Und nicht von ungefähr bemühen sich seit Jahrtausenden Wissenschaftler, Religionen und alle möglichen anderen Akteure, sich irgendwie mit diesem Phänomen auseinander zu setzen.
Und nicht von ungefähr heißt es, dass der Zinseszinseffekt als eines der Sieben Weltwunder gilt.
zendepot: Schönes Schlusswort! Ja, vielen Dank, Herr Kleinlein, für das Gespräch. Bis bald!
Axel Kleinlein: Bitte sehr!
zendepot: Danke.
Axel Kleinlein: Bis denn.
Hinweis: Hervorhebungen im Text sind nachträglich vorgenommen und dienen allein der besseren Lesbarkeit.
Axel Kleinlein ist Diplom-Mathematiker und seit November 2011 Vorstandsvorsitzender des Bundes der Versicherten (BdV).
Davor waren unter anderem die Allianz Lebensversicherung, die Stiftung Warentest (Abteilung Lebensversicherung und Altersvorsorge) und eine Ratingagentur für Versicherungsunternehmen berufliche Stationen.
Desweiteren gründete Axel Kleinlein das versicherungsmathematische und fachjournalistische Büro math concept sund war als Referent für den Bundesverband der Verbraucherzentralen tätig.
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