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Asset Allocation: Die richtige Aktienquote für jedes Alter

Autor
Holger Grethe
Letzte Aktualisierung
22. Dez. 2017

Für die Aufteilung des Portfolios – die Asset Allocation – gibt es eine tradierte Formel:

Aktienquote = 100 – Lebensalter …

Wer jung ist, so die Logik, kann mehr Aktien und damit mehr Risiko vertragen.

Wer auf den Ruhestand zusteuert, sollte hingegen zunehmend in Anleihen umschichten.

Wäre ja blöd, wenn man sich pünktlich zum Rentenbeginn in einem Börsentief wieder findet …

Auf den ersten Blick erscheint das logisch. Doch macht eine dynamische Asset Allocation nach diesem Strickmuster wirklich Sinn?

Nein, sagen die Autoren einer 2012 erschienenen Untersuchung mit dem Titel „The Glidepath Illusion“.

Robert D. Arnott und Mitarbeiter kommen darin zu der Erkenntnis, dass genau die gegenteilige Strategie mehr Erfolg (Rendite) verspricht.

Sie empfehlen einen „inverse glidepath“, also die Aktienquote mit zunehmendem Alter zu erhöhen, statt diese abzusenken.

Wie das alles zusammenpasst und ob eine steigende Aktienquote wirklich praktikabel ist, erfährst du in diesem Artikel.

Hinweis: Dieser Artikel setzt Grundkenntnisse über die Funktionsweise von Aktienmärkten und der Portfoliogestaltung voraus. Wenn du völlig neu in diesem Thema bist, findest duhierundhierArtikel, die den Bedürfnissen von Börseneinsteigern gerecht werden.

Methodik der Studie

Der Grund für das tradierte Absenken der Aktienquote bei zunehmendem Lebensalter ist dieser:

Das bei Renteneintritt zur Verfügung stehende Kapitalvermögen soll den Wertschwankungen des Aktienmarkts schrittweise entzogen und damit stabil gehalten werden.

Wie gut sich diese „Standard-Strategie“ schlägt, haben die Autoren der Studie rückblickend für die Jahre 1871 bis 2011 untersucht.

Dabei haben sie insgesamt 101 fiktive Anleger gemittelt, die jeweils über 41 Jahre Vermögen aufbauen.

Der erste Anleger in ihrem Rechenmodell startete seine Investmentlaufbahn im Jahr 1871 und ging Ende 1911 in Rente, der letzte startete 1971 und trat Ende 2011 in den Ruhestand. Dazwischen liegen 99 weitere Modell-Anleger.

Getestet wurden drei Strategien:

  • 1.

    Standardverlauf mit sinkender Aktienquote (beginnend bei 80 Prozent, endend bei 20 Prozent)

  • 2.

    Statische Asset Allocation (50 Prozent Aktien, 50 Prozent Anleihen)

  • 3.

    Inverser Verlauf mit steigender Aktienquote (beginnend bei 20 Prozent, endend bei 80 Prozent)

Ergebnisse der Studie

Ausgehend von einem jährlichen Investment von 1.000 USD brachten die drei Strategien für die Asset Allocation folgende Resultate (in USD):

80->20

50/50

20->80

MITTELW

124.460

137.870

152.060

STABW

37.670

41.250

57.010

MIN

49.940

51.800

53.040

MAX

211.330

209.110

286.920

Schaut man sich die Durchschnittswerte (MITTELW), die Standardabweichung (STABW) und die Maximalwerte (MAX) an, erfährt man wenig überraschend folgendes:

Je höher die Aktienquote vor allem später im Verlauf ist, desto größer fällt das zu erwartende Endvermögen aus – dies sowohl hinsichtlich der Durchschnitts- als auch der Maximalwerte.

Mit der höheren Rendite geht – wie zu erwarten – ein höheres Risiko einher. Gemessen an der Bandbreite des Endvermögens (siehe Standardabweichung).

Mit dem „inverse glidepath“ schneidet man also im Mittel besser ab als mit dem 80-20-Standardverlauf.

Von den Durchschnittswerten kann man sich allerdings nur wenig kaufen.

Denn genauso wenig wie die statistische Lebenserwartung Auskunft darüber gibt, wie lange man lebt. So ist auch das gemittelte Endvermögen von 101 Anlegern wenig aussagekräftig für das Endvermögen des Einzelnen.

Beim Vermögensaufbau über 40 Jahre hat eben jeder Anleger nur einen Versuch.

Die Überraschung

Der eigentlich Clou der Studie verbirgt sich im Minimalwert (MIN). Dieser macht deutlich, wie es dem armen Tropf mit dem schlechtesten Verlauf aller 101 Modell-Anleger ergangen wäre.

Stellt man das jeweilige Worst-Case-Szenario beider Strategien gegenüber, wird deutlich:

Das Endvermögen bei der „inverse glidepath“-Strategie fällt höher aus als bei der Standard-Strategie.

In Zahlen: 53.040 USD vs. 49.940 USD.

Ups.

Schützt eine niedrige Aktienquote im Alter etwa schlechter vor Verlusten als eine hohe?

Stellt das nicht alles auf den Kopf, was wir über Aktien und Risiko zu wissen glauben?

Halten wir zuerst einmal fest, dass unabhängig von der gewählten Strategie kein Anleger Geld verloren hat.

Wer in diesem Modell 41 Jahre lang jeweils 1.000 USD zurücklegt und seine Sparrate der Inflation angepasst hat (wie in der Studie angenommen), hat am Ende inflationsbereinigt 41.000 USD investiert.

Selbst wenn daraus bei der Standard-Strategie im „schlimmsten“ Fall nur 49.940 USD wurden, hat sich das eingezahlte Kapital mit einer Realrendite von immerhin 0,92 Prozent pro Jahr vermehrt.

Ist eine steigende Aktienquote besser?

Wenn man mit einer steigenden Aktienquote nun nichts verlieren kann, wie sieht es dann auf der Chancen-Seite aus?

Gut.

Beim Standardverlauf waren bestenfalls 211.330 USD Endvermögen drin. Beim inversen Verlauf mit steigender Aktienquote ganze 286.920 USD.

Es handelt sich also um ein Risiko, bei dem man – so paradox es klingen mag – nur gewinnen kann: Ein sogenanntes „upside-risk“.

Auch der renommierte Finanzautor William J. Bernstein kommt in seiner Abhandlung Deep Risk: How History Informs Portfolio Design (*) zu der Erkenntnis:

„Bei langem Zeithorizont sind Anleihen riskanter als Aktien, da sie anfälliger für des Anlegers größte Plage sind: Inflation. Bei einem Zeithorizont von weniger als 20 Jahren tragen hingegen Aktien deutlich mehr Risiko als Anleihen.“

Auf dem Papier stellt sich der „inverse glidepath“ also als die bessere Variante der dynamischen Asset Allokation heraus.

Zumindest wenn es darum geht, über lange Zeiträume ein möglichst großes Endvermögen zu erzielen.

Aber wie sieht das Ganze im „wirklichen Leben“ aus?

Risikotoleranz

Was in der Theorie einleuchtend ist, muss nicht zwangsläufig auch in der Praxis funktionieren. Denn der maßgeblich limitierende Faktor beim Investieren ist und bleibt nun mal der Mensch.

Letztlich hängt es von der individuellen Risikotoleranz des Anlegers ab, ob er seine Investment-PS voll auf die Straße beziehungsweise an die Börse bringt.

Oder ob er lieber untertourig mit leicht angezogener Handbremse durch die Gegend fährt …

Auch wenn das Endvermögen beim „inverse glidepath“ selbst beim ungünstigsten Verlauf größer sein mag als beim „standard glidepath“:

Die Wertschwankungen, die es dabei auszuhalten gilt, werden mit steigender Aktienquote größer.

Wer mit Anfang 60 zusehen muss, wie sein ETF-Depot binnen eines Jahres 30 Prozent an Wert verliert …

…kann sich zwar einreden, dass er aufgrund seines Mutes zur hohen Aktienquote immer noch über mehr Vermögen verfügt als wenn er mit sinkender Aktienquote zu Werke gegangen wäre.

Aber wie viele Leute denken respektive empfinden so?

“Finanzielle Verluste werden in denselben Gehirnarealen verarbeitet wie Lebensgefahr.”

Gefühltes Risiko

Jedes Depot braucht einen gewissen „Wohlfühlfaktor“:

So wird sich ein Anleger mit kleinerem Portfolio-Vermögen, aber geringeren Wertschwankungen, vermutlich besser fühlen als …

…ein Anleger mit größerem Portfolio, dafür aber höherer Anfälligkeit für einen satten „drawdown“ kurz vor Eintritt in den Ruhestand.

Bezugspunkt ist ja immer der faktisch vorhandene Depotsaldo und nicht ein hypothetischer Saldo, den man mit einer anderen Anlagestrategie vielleicht erreicht hätte.

Gemäß der Peak-End-Theorie beurteilen Menschen unangenehme Ereignisse, wie etwa eine Darmspiegelung, aufgrund von zwei Kriterien:

Erstens, nach der Schmerzintensität während der Prozedur und zweitens, nach dem Gefühl am Ende.

Wie lange die Untersuchung dauert und wie hoch das durchschnittliche Schmerzlevel ausfällt, ist im Rückblick unerheblich.

Man braucht nicht allzu viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass ein Verlust von – sagen wir – 30 Prozent des Depotvermögens insbesondere am Ende der Ansparphase ordentlich schmerzt.

Ein Anleger, der vor Eintritt in den Ruhestand „nur“ 15 Prozent verliert, wird die zurückliegenden 40 Börsenjahre sicherlich positiver bewerten als jemand, der kurz vor dem Ziel mit einem Wertverlust von 30 Prozent klarkommen muss.

Höhe des Endvermögens hin oder her.

Weitere Kritikpunkte

Unabhängig von verhaltensökonomischen Aspekten lassen sich noch andere Punkte diskutieren:

Funktioniert nicht bei kurzem Anlagehorizont

Während ein „inverse glidepath“ zur Vermögensbildung im Rahmen der Altersvorsorge durchaus diskutabel ist, erscheint er mir gänzlich ungeeignet, um beispielsweise Vermögen für das Studium der Kinder aufzubauen.

Das Verhältnis von Ansparphase zu Entsparphase beträgt bei der Altersvorsorge (für einen 30-jährigen Anleger) etwa 35 zu 25 Jahre.

Beim Vermögensaufbau zur Finanzierung eines Studiums liegt es hingegen nur bei 18 zu 5-6 Jahren.

Anders ausgedrückt: Nach 18 Jahren muss auf den Punkt die Summe X zur Verfügung stehen, die in nur 5 oder 6 Jahren vollständig aufgezehrt wird.

In diesem Szenario führt am Standardverlauf mit sinkender Aktienquote über 18 Jahre aus meiner Sicht kein Weg vorbei.

Inverser Verlauf unsinnig

Auch wenn man sich denken kann, warum in der Studie ein „inverse glidepath“ mit einem Verlauf der Aktienquote von 20 bis auf 80 Prozent gewählt wurde (einfache Umkehrung des Verlaufs von 80 auf 20):

Sinn ergibt das kaum.

Wer mit Mitte 60 eine Aktienquote von 80 Prozent verkraften kann, sollte dies mit Mitte 20 erst recht können, oder nicht?

Wenn schon viel Aktien, dann während der ganzen Ansparphase!

Entwicklung der Risikoaversion

Steigt die Aktienquote mit dem Lebensalter, sollte idealerweise auch die Risikofreudigkeit des Anlegers zunehmen.

Die Risikotoleranz ist allerdings ein scheues Reh, das unzähligen unbewussten Einflüssen auf emotionaler Ebene ausgesetzt ist.

Es dürfte einfacher sein, einen Pudding an die Wand zu nageln, als die Risikobereitschaft eines Menschen valide zu bestimmen.

Jobwechsel, Jobverlust, der Verlust eines nahen Angehörigen, eine lebensbedrohende Erkrankung und andere Schicksalsschläge gehen ganz sicher nicht spurlos an einem Menschen und seiner Haltung zum Geld vorbei.

Leider werden die genannten Ereignisse mit zunehmendem Lebensalter immer wahrscheinlicher …

Asset Allocation – Das Fazit

Für Sparprojekte mit kurzer Entsparphase ist ein inverser Verlauf der Asset Allocation keine Option. Allenfalls für den Vermögensaufbau im Rahmen der Altersvorsorge.

Eine mit dem Alter steigende oder durchgehend hohe Aktienquote ist der Weg für hochrationale Anleger mit unterdurchschnittlich niedriger Risikoaversion.

Für durchschnittlich risikoaverse Menschen ist wohl die der althergebrachte Aufteilung der Anlageklassen mit sinkender Aktienquote der bessere Weg.

Wer nicht weiß, zu welcher Gruppe er gehört, macht mit einer fixen Allocation von 50 Prozent Aktien und 50 Prozent Anleihen sicher nichts verkehrt.

Am wichtigsten ist aber, dass man sich mit dem Risikolevel seines Depots wohlfühlt und auch in schlechten Zeiten bei der einmal gewählten Strategie bleibt.

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Autor: Holger Grethe
Holger hat Zendepot Anfang 2013 gegründet und dort als einer der ersten deutschen Blogger regelmäßig über passives Investieren mit ETFs und weitere Finanzthemen informiert. Im Juni 2021 beschloss Holger, das Projekt Zendepot für sich abzuschließen, um sich auf sein Kerngeschäft, die eigene Praxis, zu konzentrieren. Die Beiträge von Holger können jedoch weiterhin im Zendepot-Blog abgerufen werden.
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