ETF Theorie

ETF-Totalverlust: Kann ich bei ETFs alles verlieren?

Letzte Aktualisierung
10. Nov. 2023

Russische ETFs wurden im Zuge des Ukraine-Kriegs nahezu wertlos. Physische und synthetische ETFs auf den MSCI Russia weisen Verluste von weit über 90 % auf. Anlegern droht ein Totalverlust – und das, obwohl ETFs doch als ganz besonders sicher gelten. Müsst ihr nun auch bei ETFs Angst haben, alles zu verlieren?

Wir verraten euch, warum Russland-Fonds fast wertlos geworden sind und ob das Risiko eines Totalverlustes auch bei anderen ETFs besteht.

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Das Wichtigste in Kürze
  • Ein Totalverlust ist bei physisch replizierenden ETFs, die breit über Länder und Branchen streuen, extrem unwahrscheinlich.

  • UCITS-Regeln stellen sicher, dass ein ETF ausreichend streut, sich nicht verschuldet und bestimmte riskante Wertpapiere nicht kauft.

  • Bei weniger breit gestreuten ETFs, die sich auf spezifische Regionen oder Sektoren konzentrieren, besteht ein höheres Risiko. Diese sind anfälliger für politische und wirtschaftliche Risiken.

  • Auch bei synthetisch replizierenden ETFs ist die Gefahr aufgrund des Gegenparteirisikos etwas größer, doch bislang ist ein von Swap-Geschäften verursachter Totalverlust noch nie vorgekommen.

  • Wer Swap-ETFs nicht vertraut, kann auf physische ETFs setzen. Über 80 % der ETFs replizieren ohnehin physisch.

Totalverlust: „Nahezu ausgeschlossen” bei breit gestreuten, physischen ETFs

Starten wir mit einer Entwarnung: Daniel Bauer, Vorstandsvorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger, betont gegenüber Zendepot, dass er einen Totalverlust für „nahezu ausgeschlossen” hält, wenn es sich um einen physischen und über Länder und Branchen breit gestreuten ETF handelt. „Also bei ETFs auf die großen Indizes wie den EuroStoxx oder den MSCI World würde ich das zu 99,99 Prozent ausschließen”, erklärt er.

Etwa listet der Index MSCI World über 1.500 Aktien aus 23 Industrieländern.

MSCI World
LandAnteil
Vereinigte Staaten
73,8 % 
Japan
5,5 % 
sonstige5,0 % 
Kanada
3,0 % 
Vereinigtes Königreich
3,0 % 
Frankreich
2,3 % 
Deutschland
2,2 % 
Australien
1,8 % 
Schweiz
1,6 % 
Niederlande
1,0 % 
Basis: HSBC MSCI World (IE000UQND7H4), 02.12.2024

Enthalten sind sämtliche Branchen: von IT, Banken und Versicherern, Industrie, Lebensmittelherstellern bis hin zu Rohstoffproduzenten und Immobiliengesellschaften. 

MSCI World
SektorAnteil
Technologie
24,9 % 
Finanzen
15,8 % 
Gesundheitswesen
11,3 % 
Industrieunternehmen
11,0 % 
Zykl. Konsumgüter
10,1 % 
Telekommunikation
7,8 % 
Basiskonsumgüter
6,3 % 
Energie
4,0 % 
Grundstoffe
3,6 % 
Versorger
2,6 % 
Immobilien
2,2 % 
sonstige
0,3 % 
Basis: HSBC MSCI World (IE000UQND7H4), 02.12.2024

Zwar gibt es auch Klumpenrisiken – etwa den USA-Anteil von knapp 70 % oder die hohe Gewichtung von IT-Unternehmen wie Apple (5,2 %) und Microsoft (4,1 %). Dennoch würden Anleger selbst dann nicht alles verlieren, wenn US-Aktien nicht mehr handelbar wären oder die Tech-Giganten reihenweise pleitegehen würden. 

UCITS-Richtlinie: Für ETFs gelten strenge Regeln

Darüber hinaus unterliegen ETFs, die in der Europäischen Union für Privatanleger zugelassen sind, in der Regel der UCITS-Richtlinie. Diese Regulierung zum Anlegerschutz schreibt in Artikel 53 etwa vor, dass der maximale Anteil eines einzelnen Emittenten im Portfolio eines UCITS-Fonds 20 % nicht überschreiten darf, es sei denn, der Fonds hat eine Genehmigung, bis zu 35 % in einen einzelnen Emittenten zu investieren.

Ein ETF, der keinen Index abbildet, darf sogar bloß 10 % in ein bestimmtes Wertpapier investieren – etwa in eine Aktie, eine Anleihe oder ein Derivat. Maximal 10 % dürfen in riskantere, nicht-börsennotierte Wertpapiere investiert werden.

Auch die kurzfristige Kreditaufnahme ist bei UCITS-Fonds auf 10 % des Fondsvermögens begrenzt. Investitionen in Edelmetalle, Zertifikate auf Edelmetalle und Leerverkäufe sind komplett verboten. Ob ein ETF unter die UCITS-Regeln fällt, erkennt ihr am Namen: Dieser enthält das ETF-Kürzel UCITS.

Insolvenzschutz: Wertpapiere im ETF gelten als Sondervermögen

Doch was passiert, wenn ein ETF-Anbieter pleite geht? Auch in diesem Fall ist ein Totalverlust praktisch nicht möglich. Die Wertpapiere im ETF sind durch das Kapitalanlagegesetzbuch vor dem Zugriff der Gläubiger sicher. Dort ist in Paragraf 92 geregelt, dass das Vermögen von Fonds vom Vermögen der Kapitalverwaltungsgesellschaft „getrennt zu halten” ist.

Die Wertpapiere liegen bei einer sogenannten Verwahrstelle (nicht identisch mit eurem Broker oder eurer Depotbank). Dabei handelt es sich in der Regel um eine Bank, die die Wertpapiere des ETF treuhänderisch verwaltet und kontrolliert, ob sich der ETF-Anbieter an die gesetzlichen Anlagevorschriften wie die UCITS-Regeln hält. Die Finanzaufsichtsbehörde Bafin überwacht wiederum die Verwahrstelle und den ETF-Anbieter.

Heißt für euch: Selbst wenn ETF-Anbieter Insolvenz anmelden, was ohnehin kaum passiert, müsst ihr euch in der Regel keine Sorgen um euer Geld machen. Auch dem Anlegerschützer Daniel Bauer ist nicht bekannt, dass eine der großen Verwahrstellen Wertpapiere veruntreut hätte und Anlegern daraus ein Totalverlust entstanden wäre.

Größeres Risiko bei synthetischen ETFs

Neben den physischen ETFs gibt es auch synthetisch replizierende ETFs. Diese halten nicht die Aktien, die im Index gelistet sind (physische Replikation), sondern setzen sogenannte Swap-Geschäfte ein.

Bei einem Swap handelt es sich um ein Tauschgeschäft mit einem Swap-Partner, der üblicherweise eine große Bank ist. Der Swap-Partner garantiert dem ETF-Anbieter, die Indexrendite regelmäßig auszuzahlen. 

Der ETF-Anbieter investiert die Anlegergelder wiederum in einen Sicherheitskorb – auch Trägerportfolio genannt – und verpflichtet sich, die Rendite der Wertpapiere im Sicherheitskorb zusammen mit einer Swap-Gebühr an den Swap-Partner zu überweisen. Das hat den Vorteil, dass der ETF die Indexrendite sehr exakt nachbildet.

Swap-ETFs bilden einen Index nach, ohne dass sie die darin enthaltenen Werte selbst einkaufen

Das Problem: Im Trägerportfolio sind nicht die Wertpapiere enthalten, die im Index gelistet sind. Etwa können bei einem synthetischen ETF auf den MSCI Europe auch US-Aktien enthalten sein. Die Wertentwicklung des Index und des Trägerportfolios können also auseinandergehen. 

Geht nun der Swap-Partner bankrott, drohen theoretisch bloß 10 % Verlust. So viel darf der Swap laut den UCITS-Regeln maximal im Vergleich zum Referenzindex wert sein. Dann stockt der ETF-Anbieter den Sicherheitskorb mit weiteren Vermögenswerten auf und der Swap wird wieder auf null gesetzt. 

Swap-Partner hinterlegen für den Swap in der Regel sogar zusätzliche Sicherheiten. Damit wollen sie ein Extra-Sicherheitsnetz aufspannen, um die Anleger vor Verlusten zu schützen.

Mangelnde Transparenz

Daniel Bauer sieht Swap-ETFs gleichwohl kritisch. Die Sicherheiten, die der Swap-Partner hinterlege, seien nicht einsehbar. Es könnten Bluechip-Aktien enthalten sein, aber auch Schrottpapiere. „Das Ganze ist sehr intransparent. Die Begrenzung existiert auf dem Papier, ob diese im Worst Case dann auch hält, wird die Zukunft zeigen müssen”, erklärt Bauer. 

Der Anlegerschützer hält darum einen Totalverlust für möglich, wenn der Swap-Partner pleitegehen würde. Sofern Swap-Geschäfte immer mit verschiedenen Parteien vereinbart würden, sei das Totalverlustrisiko aber „sehr gering”. 

Kritik der Bundesbank

Die Bundesbank sieht ebenfalls Risiken. In Europa seien synthetische ETFs weniger streng reguliert als in den USA, erklären die Mitarbeitenden im Monatsbericht vom Oktober 2018. Etwa könnten an den Swap-ETFs beteiligte Firmen der gleichen Bankengruppe angehören. Die Banken könnten die Swap-Geschäfte mit illiquiden Wertpapieren hinterlegen, um sich günstiger zu refinanzieren.

Außerdem könnte es bei einer Insolvenz des Swap-Partners in einer schweren Marktkrise passieren, dass der ETF-Anbieter keinen neuen Swap-Partner finde, erklärt die Bundesbank weiter. Der synthetische ETF könne dann den Index nicht mehr nachbilden und müsste Wertpapiere aus dem Trägerportfolio verkaufen, um von synthetischer auf physische Replikation umzustellen. Das könnte aber „aufgrund von etwaigen Eintrittshemmnissen oder anderer Marktbarrieren” nicht möglich sein, schreiben die Forscher der Bundesbank.

Menschen könnten infolge das Vertrauen in synthetische ETFs verlieren und Anteile abstoßen, wodurch viele ETF-Anbieter Vermögenswerte verkaufen müssten. Da das Trägerportfolio aber nicht die Wertpapiere des Index enthalte, könnten hieraus Verluste entstehen.

Bislang gab es eine solche Vertrauenskrise aber nicht. Die Wertpapiere, die als Sicherheiten für Swap-Geschäfte dienten, seien noch nie wertlos geworden, „auch nicht während der letzten Finanzkrise”, schreibt die Verbraucherzentrale auf ihrer Internetseite.

Swap-ETFs sind in der Minderheit

Falls ihr Swap-ETFs trotzdem aus dem Weg gehen möchtet, schränkt das eure ETF-Auswahl nicht allzu stark ein: Nur 17 % der auf Xetra handelbaren ETFs replizieren Swap-basiert, der Rest setzt vollständig oder teilweise auf physische Replikation.

Vollständige Replikation
(Optimiertes) Sampling
Swap-basiert
Vollständig vs. Sampling vs. Swap: Anzahl der ETF (2010 - 2023)
JahrETF
201065%33 %
201164%30 %
201262%29 %
201357%31 %
201453%34 %
201549%36 %
201642%20%39 %
201735%23%42 %
201831%25%44 %
201929%26%45 %
202026%27%47 %
202120%31%50 %
202217%29%54 %
202317%29%54 %
Welche Kennzahl?
Welche ETF?
Basis: alle auf Deutsche Börse Xetra handelbare ETF
Quelle: Deutsche Börse, eigene Berechnung (Stand März 2023)

Warum wurden russische ETFs wertlos?

ETFs unterliegen wie alle Fonds politischen Risiken. Das haben zum Beispiel die Sanktionen gegen Russland im Zuge des Ukraine-Kriegs gezeigt. Bei physischen und synthetischen ETFs auf den MSCI Russia droht Anlegern derzeit ein Totalverlust.

MSCI hat beispielsweise die Indexberechnung für den MSCI Russia eingestellt, weil russische Wertpapiere vom Handel ausgeschlossen sind. ETFs, die auf diesem Index basieren, sollen aufgelöst werden – darunter auch die „MSCI Russia”-ETFs von iShares und Amundi.

MSCI hat die Indexberechnung für seinen MSCI Russia Index eingestellt (Quelle: MSCI).

Russische Wertpapiere seien sanktionsbedingt für westliche Investoren nicht mehr handelbar, erklärt Daniel Bauer. Auch Zinsen- und Dividendenzahlungen könnten nicht mehr aus Russland durchgereicht werden, obwohl die Zahlungen aus Russland geleistet würden. Das betreffe russische Aktien, Anleihen und sogenannte Depositary Receipts, also Verwahrzertifikate auf russische Wertpapiere.

„Die Fondsgesellschaften und Depotbanken betrachten die Wertpapiere daher oft als wertlos, was aber nicht der Fall ist”, erklärt Bauer. „Die Ansprüche sind weiterhin gegeben, nur man kann diese nicht einlösen. Man sollte daher hier gegen jede wertlose Ausbuchung Widerspruch einlegen.”

Gefahren bestehen nicht nur bei Russland-ETFs

Laut Daniel Bauer bestehen politische Risiken auch bei anderen ETFs. „Käme es zu einem Angriff Chinas auf Taiwan, würden Anleger in taiwanesischen oder chinesischen Aktien sicherlich mit entsprechend vergleichbaren Problemen konfrontiert werden”, schätzt er.

Emerging Markets-ETFs können einen hohen Anteil an chinesischen und taiwanesischen Aktien aufweisen. Etwa liegt er beim MSCI Emerging Markets bei 45 %. Das wäre zwar kein Totalverlust, würde Anleger jedoch empfindlich treffen.

MSCI Emerging Markets
LandAnteil
China
26,9 % 
Indien
19,8 % 
Taiwan
18,9 % 
Südkorea
9,9 % 
Brasilien
4,5 % 
Saudi-Arabien
4,0 % 
Südafrika
3,1 % 
Mexiko
1,8 % 
Indonesien
1,6 % 
Malaysia
1,5 % 
Basis: Amundi MSCI Emerging Markets (LU1737652583), 02.12.2024

Fazit: Keine Angst vor Totalverlust mit der richtigen ETF-Wahl

Zusammenfassend lässt sich sagen: Natürlich könnt ihr auch mit ETFs Geld verlieren, wobei das Risiko eines Totalverlustes gering ist. Das gilt zumindest, wenn es sich um einen physischen ETF handelt, der in viele Länder und Branchen investiert.

Gefährlicher wird es bei weniger breit gestreuten ETFs, die sich auf spezifische Regionen oder Sektoren konzentrieren. Solche ETFs sind anfälliger für regionale politische und wirtschaftliche Risiken, wie man am Beispiel der geschlossenen Russland-ETFs gesehen hat.

Synthetische ETFs werden von manchen Experten wie Daniel Bauer kritischer betrachtet. „Ich würde grundsätzlich immer auf einen physisch replizierenden ETF setzen, und Swap-basierte ETFs nur in Ausnahmefällen kaufen”, rät der Vorstandsvorsitzende der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger.

Wer einem synthetischen ETF nicht vertraut, hat bei den physischen ETFs noch immer reichlich Auswahl. Laut unserer ETF-Statistik setzen die meisten ETFs nicht auf Swap-Geschäfte: 83 % der Aktien-ETFs, die in Deutschland für Privatanleger zugelassen sind, replizieren komplett oder teilweise physisch.

Häufig gestellte Fragen

Sind ETFs gefährlich?

ETFs sind nicht pauschal gefährlich. Verluste können zum Beispiel aus der Wertpapierleihe oder Swap-Geschäften entstehen. Diese Geschäfte sind aber auch bei vielen normalen Investmentfonds üblich. Ihr könnt diese Risiken vermeiden, indem ihr ETFs ohne Wertpapierleihe oder Swap-Geschäfte kauft.

Kann ich bei einem ETF alles verlieren?

Es ist sehr unwahrscheinlich, bei einem ETF alles zu verlieren – vor allem bei physischen ETFs, die breit über Länder und Branchen streuen. Das gilt beispielsweise für bekannte Indizes wie den MSCI World oder den FTSE All-World. Bei weniger breit gestreuten ETFs – Russland-ETFs sind ein aktuelles Beispiel – ist die Gefahr größer. Auch bei synthetischen ETFs hält ein Experte gegenüber Zendepot einen Totalverlust grundsätzlich für möglich, wobei es bisher keine solchen Verluste durch Swap-Geschäfte gab.

Warum droht bei russischen ETFs ein Totalverlust?

Bei russischen ETFs droht ein Totalverlust, weil Sanktionen gegen Russland den Handel mit russischen Wertpapieren an westlichen Börsen verbieten. Viele ETF-Anbieter und Depotbanken betrachten daher russische Wertpapiere oder Anteile an Fonds, die in russische Wertpapiere investieren, als wertlos.

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Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main. Der studierte Volkswirt schreibt vor allem über Wirtschaft und Geldanlage.
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